Sonntag, 10. Dezember 2017

Mauretanien

Einreise nach Mauretanien

Am 22.11. um 8:26 Uhr morgens setzt sich unser Konvoi in Richtung Nouadhibou zum Grenzübertritt nach Mauretanien in Bewegung. Ab nun werden wir den Rest der Reise nur noch in dieser Formation zurücklegen, wodurch ein Teil des Rallye-Feelings leider verlorengeht. Zum Einen liegt das an den Sicherheitsanforderungen bei der Durchreise durch Mauretanien. Zum Anderen schlichtweg an der stellenweise sehr schwierigen Route. Um in der Wüste nicht verloren zu gehen oder entführt zu werden, erhalten wir für die Durchfahrt Begleitschutz vom mauretanischen Militär und auβerdem die Unterstützung durch drei Wüstenführer, ohne die man den Weg durch die Wüste kaum finden würde.

Ein Tag beim Zoll

Die Ausreise aus Marokko verlief sehr schnell und unkompliziert. Nachdem sich die ausgesprochen freundlichen Zollbeamten durch unsere mündliche Bestätigung davon überzeugt hatten, dass wir keine Waffen oder Drogen mit uns führen, lässt man uns mit dem Wagen aus dem Land. Merkwürdig fanden wir zuerst nur, dass das angrenzende Land (also Mauretanien) noch nichtmal in Sichtweite war und die Straβe trotzdem einfach aufhörte. Bis zur nächsten Grenze mussten wir also ein paar Kilometer Niemandsland durchqueren. Und zwar auf einem Untergrund, der nichtmal ansatzweise als Straβe bezeichnet werden kann. Zwischen beiden Ländern existiert nur ein Streifen Geröllwüste, der unseren überwiegend Nicht-Geländewagen einen Vorgeschmack auf die kommenden Tage gibt. Was wir zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht wissen.

Das Warten lohnt sich

Am Grenzübergang angekommen beginnt der eigentlich anstrengende Teil des Tages. Nämlich bei steigenden Temperaturen auf die Ausstellung des Visums warten. Und zwar im Modus "Schlange an der Supermarktkasse" ohne die Option, eine weitere Kassiererin zu rufen. Jeder der ca. 80 Rallye-Teilnehmer wurde einzeln und hintereinander in einem Raum abgefertigt, der eher an einen Abstellraum für Sportmatten erinnerte. Das komplette Gegenteil vom Hi-Tech-Parkour in Tanger.

Einziger Trost: das Visum für Mauretanien ist im Gegenastz zu denen anderer Länder sehr dekorativ. Kein langweiliger, einfarbiger Stempel, sondern ein ganzseitiger Aufkleber mit Foto (von einem selbst natürlich) und vielen farbenfrohen Sicherheitsmerkmalen.

Während der ganzen Warterei mussten wir leider feststellen, dass unser Wagen die Stolperfahrt zwischen den Grenzen nicht ohne Blessuren überstanden hatte. Unser Treibstofftank tropfte, was insofern ungünstig ist, weil wir seinen Inhalt zum Weiterkommen benötigen. Gott sei Dank war es kein groβes Loch, sondern nur eine poröse Dichtung am oberen Teil des Tanks. Hieβ für uns: ab sofort nicht mehr volltanken.

Erstes Camp direkt hinter der Grenze

Die Zollabfertigung dauerte bis in die Nacht hinein und somit waren wir gezwungen, uns nur wenige Kilometer hinter der Grenze einen Platz zum Übernachten zu suchen. Wo genau konnten wir leider nicht erkennen, weil es erstens stockfinster und zweitens komplett vernebelt war. Letzteres ist für diesen Teil der Welt übrigens extrem selten, wie wir tagsdarauf beim morgentlichen Briefing erfuhren.

Nachtcamp direkt hinter der Grenze Mauretaniens

Nachdem wir unsere Fahrsicherheitshinweise vom Orga-Team erhalten und auch gleich wieder vergessen hatten, prüften wir nochmal die Menge ausgelaufenen Benzins und waren erleichtert, dass das Tropfen über Nacht aufgehört hatte. Außerdem lassen wir fast die ganze Luft aus den Reifen, um so viel Auflagefläche wie möglich zu erhalten.

Vollgas!

Jetzt mal Hände hoch, wer schon mal mit 100 Sachen durch die Wüste gebrettert ist.

Wusste ich es doch! Und was sich nach saumäβigem Spaβ anhört, ist es auch. Aber leider auch extrem leichtsinnig. Auf einer nahezu vollständig ebenen und festen Sandfläche, die so weit ist wie das Auge reicht, hat jeder nur noch eines im Sinn. Gas geben! Wer schon mal Mad Max gesehen hat, weiβ genau, wovon ich schreibe. Leider verlangt dieser Irrsinn seinen Tribut. Denn der Untergrund ist nur scheinbar plan. Hier und da gibt es Stellen, wo der Sand plötzlich weicher wird und die den Wagen kurz eintauchen lassen. Was problematisch wird, wenn sich (spitze) Steine darunter verbergen, die bei solchen Geschwindigkeiten zum Dosenöffner für Autos werden.

Hoffentlich blitzt hier keiner.

Unterbodenschutz für die Fahrzeuge ist somit Pflicht und mit unseren 5mm Stahlblech unter dem Bug waren wir bestens vorbereitet. Oder hatten einfach nur Schwein. Einige Fahrzeuge der anderen Teilnehmer hatte es übel erwischt. Da hätten wir einen zerfetzten Kühler, eine aufgeschlitzte Benzinleitung und eine gerissene Ölwanne. Bis hier hin schon mal keine positive Ökobilanz, was der gesamten Rallye (trotz des guten Zwecks) einen unschönen Makel verleiht.

Den Abend verbringen wir in der Nähe einen riesigen Düne, die (während der zunehmend kürzer werdenden Dämmerungsphasen) regelrecht dazu verpflichtet, noch schnell erklommen zu werden, um den malerischen Anblick unserer Wagenburg in der orangegefärbten Weite der Wüste zu genieβen.

Einige Teams stecken noch weiter hinten im Sand fest

Dabei können wir auch unseren Begleitschutz beim Relaxen beobachten. Ein Dutzend islamischer Rekruten mit olivefarbenen Uniformen, von denen übrigens keine denselben Farbton hat, schwarzen Stiefeln, um die sie sich vorbildlich kümmern, und Kalaschnikows, die sie permanent bei sich tragen, machen genau was am Abend? Genau! Selfies. Für lieben Verwandten und zahlreichen Freundinnen daheim.

Waschbretter

Am Folgetag (24.11.2017) machen wir gerade mal 70 km Strecke. Verglichen mit den 500-700 km, die wir bisher an einem Tag zurückgelegt haben, klingt das mager. Ist aber um einiges anstrengender. Für das Auto wie für die Passagiere.

Das liegt nicht nur an der extrem trockenen Hitze, bei der man nicht zu schwitzen scheint; was sich aber nur so anfühlt, denn der Schweiß vertrocknet einfach zu schnell. Es liegt vor allem an der (ständig wechselnden) Bodenbeschaffenheit. Befestigte Straßen werden wir erst am Tag der Ausreise wieder sehen. Bis dahin fahren wir über Sandpisten. Die können mal hart wie Beton sein. Oder weich wie Schlagsahne. Weite Abschnitte ist er mehrere cm tief gerippt wie ein Waschbrett. Wie gut, dass wir eh nie wirklich Lust hatten, den Wagen aufzuräumen. Denn nach einer Waschbretttour ist nicht nur der eigene Mageninhalt gut durchmischt, sondern auch der des Autos.

Waschbrett

Später stellen wir fest, dass man über diesen Untergrund besser schneller als langsamer fährt. Denn ab einer gewissen Geschwindigkeit gleiten die Reifen über die kleinen Täler einfach hinweg, was nicht nur die Stoßdämpfer schont, sondern auch die Ohren. Jetzt hören wir auch wieder was aus den Lautsprechern. Klingt wie Gimme Shelter von den Stones. Unsere Wüstenbewacher schießen währenddessen in stilechten Toyota Pickups an uns vorbei. Ihre Gesichter mit schwarzen Schals komplett vermummt. In welche Richtung man schaut. Filmreife Szenen überall.

Unsere Militäreskorte im Einsatz

Slingshots

Der 25.11.2017 beginnt um 8 Uhr mit Katapultschießen. Als Munition verwenden wir unsere Autos. Die Liste der dümmsten Dinge, die wir je im Leben gemacht haben, wird heute um einen neuen Eintrag bereichert.

Slingshots nennen wir jene Abschnitte, bei denen die Fahrzeuge einzeln durchgeschickt werden müssen, weil der Untergrund hier so weich und holprig ist, dass man einen gewissen Schwung braucht, um darüber hinwegzugleiten. Die Kunst bei diesen Abschnitten liegt darin, diesen Schwung nicht zu verlieren. Egal wie langsam man sich bewegt, man darf auf keinen Fall stehen bleiben. Denn wer einsandet und sich nicht selbst wieder befreien kann, hat in der Regel keine Überlebenschance und muss qualvoll verdursten. Oooder nimmt die Hilfe der anderen Teams an und akzeptiert einen Strich auf der sogenannten Einsandeliste. Tod oder ewiger Spott. Muss jeder selber wissen.

Schlagsahne

Wir bleiben nicht stecken. Nicht heute. Mit gemütlichen 30-40 km/h schiebt sich unser tiefergelegter Ford über 60 km über watteweichen Wüstensand. Hören dabei Concerts in China von Jean-Michel Jarre. Definitiv unsere musikalische Empfehlung für all jene, die auf der Suche nach ähnlichen Grenzerfahrungen sind.

Der bewölkte Himmer macht die Hitze erträglicher

Wir Kinder aus Nouamrhar

Gegen Mittag erreichen wir wieder den Strand. Ein Naturschutzgebiet, welches von angeschwemmtem Müll so stark belastet ist, dass ich mich frage, welche Natur hier eigentlich geschützt werden soll. Möglicherweise ja die Pelikane, die wir hier und da sichten. Der einzige schöne Anblick.

Irgendwo im Naturschutzgebiet

Ein paar km weiter fahren wir an einem Dorf (Nouamrhar wie ich später erfahre) vorbei und sehen zum ersten Mal Anzeichen von einheimischem Leben. Und zwar in Form bettelnder Kinder, die bei der Sichtung unseres über 40 Fahrzeuge starken Konvois von allen Seiten herangestürmt kommen. Das Dorf ist von Plastikmüll derart überhäuft, dass ich es zunächst gar nicht als solches erkannt habe. Dass Kinder hier leben und spielen, ist kaum vorstellbar.

Blick ins Wohnzimmer
Geschenke aus dem fahrenden Fahrzeug zu verteilen, ist uns untersagt worden, weil es für die Kinder sonst zu gefährlich wird. Warum das so ist, lernen wir schnell. Wird ein Fahrzeug nämlich als Spender identifiziert, spricht sich das (offenbar durch eine Art Gedankenübertragung) blitzschnell herum und das Auto wickelt sich auf magische Weise in einen Kokon aus lebenden Kindern ein. Und weil sich das Recht des Stärkeren (oder Lauteren) hier wohl auch schon herumgesprochen hat, nehmen die Kinder nicht automatisch Rücksicht aufeinander.

Einige Rallyeteilnehmer entscheiden sich, hier bereits einen Teil ihrer Mitbringsel zu verschenken. Bei einer Pause in der Nähe des Dorfs werden Spielsachen, Stifte und Kleider abgestellt und von unseren bewaffneten Begleitern verwahrt bis wir weiterfahren. Ohne handgreiflich oder aggressiv zu werden, geben sie den Kindern schnell zu verstehen, dass sie sich den Autos nicht nähern dürfen. Was auf den ersten Blick unmenschlich wirkt, hat aber Methode. Gibt man dem Fordern der Kindern sofort nach, akzeptieren sie diesen Lebensstil und erhalten keine Motivation, sich ihren Lebensunterhalt anders zu verdienen.

Wir verschenken später am Abend auch was. Und zwar die Box mit Jochens Kassetten, für die sich ein anderes Team brennend interessiert und tierisch freut. So haben wir auch jemanden glücklich gemacht.

Schäden und Verluste bisher

  • Kompressor defekt (ist für stark frequentiertes Sitzmöbelaufblasen bei 40° Celsius nicht gebaut)
  • Toms Fahrhandschuhe (vom Dach geweht)
  • zwei 15A Sicherungen durchgebrannt
  • Schloss unserer Heckklappe voll Sand und nur noch schwer zu öffnen
  • ein Kamerobjektiv zerkratzt
  • poröse Tankdichtung (siehe oben)
  • unser Küchenmesser ist weg
Was unser Unterbodenschutz alles aus der Wüste schaufelt...

Strand fällt aus

Für den Folgetag wäre nun die traditionelle Strandfahrt angesagt, die bei jeder Rallye ein kleines Highlight darstellt. Da der Strand (wie beim letzten Mal auch schon) nicht befahrbar ist, weil einfach zu schmal und zu steil, fahren wir auf der nahegelegenen Asphaltstraße bis kurz vor Nouakchott und schlagen unser Lager im Camping Oceanidis auf. Dort bekommen wir abends gegrilltes Hühnchen mit weichgekochtem Gemüse und Eierkuchen, die hier oft zusäzlich oder anstelle von Reis und Couscous gereicht werden. Einfach aber gut.

Orga-Team

Noch einfacher sind nur die sanitären Anlagen in diesem (nennen wir es) Ferienresort. Eine Toilette ohne fließendes Wasser für knapp 100 Leute, die gerade aus der Wüste kommen. Bei 36° Celsius. Da kehrt der ein oder andere dann spontan wieder zur Erleichterungsstrategie der letzten Tag zurück und geht mit Spaten und Zellstoff einfach irgendwo in den Sand.

Die befestigen Beduinenzelte am Strand sind zwar voller hüpfendes, fliegendes, krabbelndes oder kriechendes Kleinstgetier. Bieten aber morgens bei Sonnenaufgang einen vollkommen unverbauten Blick auf die meterhohen Wellen, die der Atlantik hier ohne Unterlass an den Strand prügelt. Like it.

Endlich wieder Burger und Betrüger

Der 27.11. ist als Ruhetag eingeplant. Was uns total anödet, weil wir eigentlich viel lieber fahren wollen. Aber wir haben nur deshalb ne große Klappe, weil an unserer Kiste nichts fehlt. Einige Teams brauchen den Tag, um schnell noch irgendwo ne passende Kupplung zu kaufen. Genauso gut könnte man bei uns daheim nach nem Flux Compensator fragen. Irgendwas bekommt man aber in jedem Fall zusammengedengelt. Der Erfindungsreichtum dieser Menschen ist angesichts der lebensbegleitenden Mangelwirtschaft derart gut trainiert, dass wirklich jedes Problem mit irgendeinem Provisorium gelöst werden kann. Und genau so wirkt auch jedes Ding in diesem Land. Alles wird gerade so gut repariert, dass es bis zum nächsten Weltuntergang hält.

Wir nutzen den Tag und geben Geld in einem kommerziell verbauten Vorort von Nouakchott aus. Cheeseburger (oder sowas in der Art) mit Pommes und eiskalter Coke. Genau das Richtige nach den Wüstentagen. In einem Supermarkt in der Nähe bekommen wir sogar Eis am Stil und frisches Obst.

Auf dem Rückweg wollen wir noch Tanken und geben damit den lokalen Kleinkriminellen eine Chance, ihr Können zu demonstrieren. Nachdem wir zuerst von einer Tankstelle zur nächsten geschickt werden, weil diese (angeblich) nur noch Diesel im Tank hatten, wurden wir bei der letzten Tankstelle freundlich in Empfang genommen. Wir machten ihm mit Französischfetzen und viel Lächeln klar, dass wir genau 30 Liter haben wollen (voll tanken konnten wir wegen des Lochs nicht mehr). Nach gefühlt 5 Minuten zeigte die Tankuhr 3,8 Liter und unser Tankwart wollte uns zu verstehen geben, dass er 30 Liter abgegeben hätte. Die Anzeige auf der Zapfsäule hatte er bereits wieder zurückgesetzt. Auch von dem Argument, dass unsere Tanknadel kein bisschen ausschlug, wenn wir die Zündung einschalteten, wollte er nichts hören. Erst als wir eine sich nähernde Gruppe polnischer Biker, offensichtlich auch Neukunden wie wir, vor der ihnen bevorstehenden Abzocke warnen, erklären sie sich bereit, uns den Rest des versprochenen Benzins in den Tank zu füllen.

Gibt leider doch nicht nur nette Menschen auf der Welt. Auf dem Campingplatz erfahren wir, dass wir nicht die einzigen Opfer waren. Die Veteranen unter den Rallye-Teilnehmern kannten die Masche bereits und erzählten von ähnlichen Begegnungen.

Fortsetzung folgt

Ich lass euch jetzt mit ein paar Bildern allein. Den nächsten und letzten Blog-Eintrag gibt es kommende Woche. Dann erfahrt ihr alles über die Route durch Senegal und Gambia, unsere Tage in Banjul, die Versteigerung und alle anderen nennenswerten Geschehnisse.


Da lachen sie noch

Esszimmer und Speisekammer

Ein mauretanisches Dorf

Gewohnter Blick aus dem Rückspiegel

Wir werden verfolgt

So wolkenfrei war es leider selten

LKWs voll mit Spendengütern

Weniger Luft, mehr Auflagefläche

In den Pausen gönnen wir dem Motor etwas Frischluft

Dromedare am Wegesrand


P.S.: Ein Großteil der Bilder wurde übrigens analog auf Film geschossen. Die Älteren werden sich erinnern. Es wird also ein paar Wochen dauern, bis wir euch ALLE Bilder der Reise zur Verfügung stellen können. Diese hier sind nur eine kleine Auswahl.




























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